Der IQ von KI, ein tragikomischer HP-Support-Fall

Ein wunderbares Beispiel für einen extrem geringen IQ von „künstlicher Intelligenz“ ist der Kundenservice von HP.

Der IQ von KI // Schriftzug: "The Lost Boys", Ausschnitt eines Fotos copyright by form:f - critical : design  "Take 12", Foto eines graugrünen Graffitos copyright by form:f - critical : design "...und es passiert: nichts", Foto eines bunten Graffitos auf dunkelblauem Hintergrund copyright by form:f - critical : design Der IQ von KI // "BTS - Interstellar", Foto eines rot-weißen Graffitos auf violett-schwarzem Hintergrund copyright by form:f - critical : designDie Möglichkeit kommerzielle KI im Alltagseinsatz zu erleben, bekam ich so: Eine Farbe des Studio-Druckers fabrizierte Zebrastreifen. Zum Glück gab´s ein Service-Packet: Austausch vor Ort am nächsten Arbeitstag. Für schnellen Ersatz war also gesorgt, dachte ich jedenfalls.

Um es kurz zu machen: Nach 13 Tagen, unzähligen Telefonaten, drei ausgetauschten Gebrauchtdruckern (mit dem gleichen Fehler) und zwei involvierten Logistikunternehmen rückt das Ende der Reparaturodyssee näher. Erreicht ist der sichere Hafen noch nicht.

Die Struktur des Serviceprozesses bei HP – Theorie

Ein Fall nimmt meist mit einem Anruf bei der Service-Hotline seinen Lauf. Standardmäßig kommt die Ansage, dass die deutsche Hotline überlastet ist. Der deutschsprachige Service meldet sich umgehend. Er kommt aus europäischen Billiglohnländern: Tschechien, Rumänien, Polen oder Ungarn. Die Callcenter decken sowohl den Service für HP als auch für Samsung ab. Nach dem allseits bekannten Standard-Procedere wird ein „Case“ ausgelöst. Das Callcenter leitet den Auftrag weiter an einen deutschen Logistik-Partner und ein Zentrallager in Holland. Dort sammelt HP die Austauschgeräte – repariert von Subunternehmen aus Billiglohnländern. Vor-Ort-Reparaturen sind zu langwierig und nur mit Spezialwerkzeug möglich.Das Zentrallager versendet den „neuwertigen“ Drucker an das Logistikunternehmen. Das meldet sich innerhalb von 24h zur Terminabsprache. Er agiert bundesweit und übernimmt lediglich die Verteilung und den Test vor Ort. Nach einem weiteren Arbeitstag steht ein Techniker mit einem Austauschdrucker vor der Tür. Für den Arbeitseinsatz vor Ort loggt er sich in seinem Smartphone ein. Auf Knopfdruck startet das Multigerät seine implementierten Arbeitsroutinen. Innerhalb von ca. 30 min. initialisiert es sich. Ein weiterer Knopfdruck lässt die Standardtests starten. Die dauern ca. 15 min. Technisches Verständnis ist im Routinefall überflüssig. Der Techniker füllt den Lieferschein aus, bittet um eine Unterschrift, loggt sich aus und geht. HP schließt den „Case“. Die/der Kund*in erhält eine Bestätigungsmail und ist zufrieden. Eine logistische Meisterleistung – noch dazu kosteneffizient für HP.

Das Beispiel für die Chaostheorie – Praxis

Das ist umgesetzte europäische Integration. Ermöglicht wird sie durch KI und andere Algorithmen. Doch: was passiert, wenn auch der Austauschdrucker kaputt ist? Die fragile Harmonie zwischen Mensch und Algorithmen zerfällt. Das Logistikmonster schlägt zurück und fordert von allen Prozessbeteiligten Geduld. Plötzlich menschelt es an allen Ecken und Enden. Statt der logistischen Meisterleistung entwickelt sich ein Anwendungsbeispiel der Chaosthorie.Der IQ von KI // "...und es passiert: nichts", Foto eines grünschwarzen Takes auf schwarzem HIntergrund copyright by form:f - scritical : design

Und täglich grüßt das Murmeltier

Es beginnt harmlos: HP hat den Lieferschein vergessen zu senden. Nur wenn wir ihn ausdrucken können, könne der Techniker überhaupt kommen, erklärt uns der Logistik-Partner telefonisch. Das Problem scheint handhabbar. Der Techniker kommt. Er packt den Drucker aus. Der arbeitet seine Routinen ab und spuckt ein bedauerliches Ergebnis aus: Das Gerät ist kaputt. Der Techniker versieht den Lieferschein mit „DoA“ (Dead on Arrival). Er packt den Austauschdrucker ein, gibt eine Pin ein, kontaktiert den technischen HP-Service via Priority-Line, ordert ein Austauschgerät und geht. Wir sollen abwarten. Das tun wir ca. 24h.

…es passiert erstmal: nichts

Eine erste Anfrage beim Support ergibt: Das Callcenter weiß nicht, dass der Austauschdrucker kaputt war. Leider führt auch der Anruf nicht zu einem „Call to Action“. Mails werden auf „Unmonitored Mailsboxes“ geschoben. Mehrere Anrufe später erbarmt sich der Logistik-Partner von HP und gibt auf eigene Kappe Order für die Auslieferung eines weiteren Austauschgeräts. Einen Auftrag von HP gibt es nicht. Ankunft des zweiten Austauschgerätes ist einen Tag später. An dem Tag schließt HP den „Case“. Ein Anruf ergibt: „das System“ macht das automatisch. Der Case wird wieder geöffnet, wieder geschlossen, wieder geöffnet… Jedes Mal spuckt „das System“ Mails aus. Jedes Mal ist eine neue Stimme am anderen Ende der Leitung. Jedes Mal ist der Fall neu vorzutragen. Allerdings zahlt sich die Geduld aus: HP bestätigt dem Logistik-Partner die Order. Ein anderer Techniker kommt. Drucker-Routinen arbeiten. Tests laufen. Ergebnis: Der Ersatzdrucker ist kaputt.Wieder versieht der Techniker den Lieferschein mit „DoA“. Wieder packt er den Austauschdrucker ein. Wieder gibt er die Pin ein. Wieder kontaktiert er den technischen HP-Service via Priority-Line. Der sichert ihm diesmal ein neues Gerät zu. Parallel dazu rufen wir den Service an, immerhin beträgt die Reparaturzeit inzwischen neun Tage. Der Service öffnet gleich zwei Cases. Der Techniker geht. Später meldet sich der Logistik-Partner. Statt eines neuen Druckers kommt wieder ein Austauschgerät. Da ist wohl was schief gegangen. Jetzt tut Bewegung gut. Auf zum Copy-Shop, die Ausdrucke können nicht mehr warten.

…es passiert erstmal: nichts

Am nächsten Arbeitstag hat der Logistik-Partner wieder nichts von HP gehört. Wieder gibt es keine Bestätigung, dass ein Austauschgerät auf dem Weg ist. Wieder sind Anrufe bei HP notwendig, um den Prozess neu zu starten. Diesmal bricht die Telefonverbindung halb zusammen. Aber zum Glück ist alles im grünen Bereich. Der Ersatzdrucker ist geordert. HP bestätigt per Rückruf: bis abends werde der Drucker versandt.

…es passiert erstmal: nichts

Der Logistik-Partner meldet sich nicht. Ein Anruf am nächsten Tag bestätigt die Befürchtung. Es ist wieder schiefgegangen. Der Logistik-Partner hat den Fall zu den Akten gelegt, denn laut HP hätten wir uns melden sollen. Wie kann das passieren? HP ruft uns an, um zu erklären, wir brauchen nichts tun. Parallel erhält der Logistik-Partner die Order, auch nichts zu tun? Das ist absurd. Aber so einfach ist es nicht. Es ist  Komplexitätstheorie: denn Logistik-Partner 2 ruft an und möchte einen Drucker vorbeibringen. Wir teilen mit, dass inzwischen schon ein Termin mit Logistik-Partner 1 vereinbart ist. Uns wird versichert: das kläre man untereinander.

Der Service-Overflow

Was nun passiert ist großes Kino: Techniker 1 kommt mit Drucker 1. Routinen arbeiten. Tests laufen. Ergebnis: das Gerät ist kaputt. Ich rufe den Service an; der Techniker gibt die Pin ein usw. usw. Ergebnis: HP fühlt sich irgendwie nicht zuständig. Der tschechische Service gibt erschöpft auf. Parallel klingelt es an der Tür: UPS bringt Drucker 2. Wenig später steht auch Techniker 2 vor der Tür. Techniker 1+2 sind verblüfft. Beide telefonieren mit ihren Zentralen in Süddeutschland. Das hätte nicht passieren dürfen. Techniker 2 erklärt: Direkte Initialisierung kann das High-Tech-Wunder zerstören. Erst nach 24h Verschnaufpause darf es ans Stromnetz. Techniker 1 dankt für die Info – ein Flaschenhals weniger im HP-Support-Dschungel. Techniker 1+2 gehen. Die beiden Unternehmen wollen untereinander klären, wer den nächsten Anlauf nimmt. Wenig später rufen uns Logistikunternehmen 1+2 an. Beide möchten einen Termin für den nächsten Tag vereinbaren…

KI konterkariert HI (Human Intelligence)

 "Aus den Betten der Suffragetten", Foto eines grün-rosanen Takes auf braunem Hintergrund copyright by form:f - critical : design

Foto: Jola / CC BY-SA CC BY-SA

Mein bisheriger Favorit, was Service-Chaos anging, war die Telekom. Sie muss nun leider Platz 1 an HP abtreten. Beide Unternehmen sind ambitionierte Teilnehmer im Wettbewerb um die komplexeste digitale Vernetzung des Kundendienstes. Die Geschichte zeigt, dass das Zusammenspiel zwischen Mensch, KI und anderen Algorithmen leider aktuell weit davon entfernt ist, reibungslos zu funktionieren. Algorithmen vernetzen einen Konzern mit Subunternehmen; und die vernetzen ihre Mitarbeiter*innen. Jedem „Teilchen“ wird eine Funktion im System zugeordnet. Überall entstehen Routinen. Nur so können Algorithmen sinnvolle Ergebnisse ausspucken. Flexibilität ist per Definition nicht ihr Ding. Die Human Resources bekommen klare, einfache Aufgaben zugeordnet. Sie mutieren zu Bausteinen in Routinennetzen – gewebt mit Code. Sie müssen weder Nachdenken, noch sich konzentrieren. Im Gegenteil, diese menschlichen Fähigkeiten sind im Routinefall eher hinderlich. Dank KI’s können immer mehr Standardaufgaben von Code übernommen werden. Das spart Lohnkosten und beschleunigt die Prozesse, wenn alles perfekt läuft.

5 zum Preis von 1

Wenn nicht, funktioniert das System leider schlechter als ohne Code. Jetzt schlägt eine menschliche Schwäche zu: Permanente Unterforderung führt zu Unkonzentriertheit und die wiederum zur Erhöhung der Fehlermenge und -größe. Ein vor sich hin dösender Mensch, dem wenig Handlungsspielraum und Verantwortung zugestanden wird, bemerkt Fehler spät oder gar nicht. Schlimmer: die Hierarchie ist hoch. Es existiert kaum Verbindung zwischen der obersten und der untersten Ebene vor Ort. Auf dem Weg durch die Instanzen kann es schon mal ziemlich egal werden, ob Kund*innen den vereinbarten Service wirklich erhalten. Dann kommt ein Drucker eben nicht einmal sondern fünfmal – mit allen für alle Beteiligten lohn- und zeitintensiven Konsequenzen. Die Frage ist: kann der vernetzte Kundenservice überhaupt kund*innenorientiert funktionieren? Basiert alles vielleicht auf einem Denkfehler? Stimmt die Annahme, dass sich Menschen wie Bausteine in einem Algorithmus-System hin- und herschieben lassen? Muss die Schnittstelle KI Mensch nicht deutlich optimiert werden?Der IQ von KI // "Die Zivilisationsreste", Foto von Spraydosen-Müll copyright by form:f - critical : design

PS: Nach schlappen 14 Tagen druckt der Drucker wieder. Nach 20 Tagen hat UPS auch das kaputte Gerät abgeholt. Was für ein Glück, dass jemand im Studios war. Terminiert war der Abtransport auf zwei Tage früher.

 

Lizenz: Fotos* + Text: CC BY-SA

 

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